… Verdammt weit.
Aus Blättern und zähem Baumharz mache ich ihm einen provisorischen Druckverband, der die Blutung verzögern soll, stoppen wird er sie nicht können. Im Augenblick wohnen zwei Seelen in meiner Brust: Dort drüben liegt der Wilderer mit dem gebrochenen Rückgrat, glotzt mich verstört mit seinen unschuldigen Augen an, alles in mir zieht mich zu ihm hin, um ihm auch noch den Hals zu brechen. Hier jedoch liegt mein Artgenosse und Gruppenmitglied Anton, der dringend Hilfe benötigt.
Er ist mir der Wichtigere. Bis Goma sind es etwa dreißig Kilometer Luftlinie. Sachte hebe ich Anton auf und trage ihn wie ein Vater sein Kind. Er ist nicht schwer, wiegt vielleicht fünfzig Kilo, für mich nicht schwerer als für eine Mutter ihr Baby; ich trage ihn mit Leichtigkeit. Allerdings ist der Weg beschwerlich, und ich bin seit meiner Verwandlung kein allzu guter Fußgänger mehr. Dennoch gehe ich entschlossen drauflos. Hinter uns ist ein leises Stöhnen zu vernehmen, und der Mediziner in mir konstatiert lakonisch: Die Wirbelsäule meldet sich ein letztes Mal! Unbeirrt laufe ich weiter, der verletzte Wilderer interessiert mich nicht mehr. Er wird doch nicht allen Ernstes einen Schimpansen, einen Affen - sein Abendessen quasi - zu Hilfe rufen. Das wäre ja lachhaft.
Unser Marsch führt uns exakt den Pfad entlang, den die Wilderer gekommen sind. So brauche ich mir meinen Weg nicht noch umständlich zu bahnen, das haben jene bereits erledigt. Immer weiter entfernen wir uns von dem verhängnisvollen Ort des Todes. Bald habe ich meinen Rhythmus gefunden, gehe gleichmäßig, denke an das Ziel dieses Marsches.
Während sich meine Artgenossen meist vierbeinig vorwärts bewegen, das heißt, sie laufen wie die Paviane auf Händen und Füßen gleichzeitig, habe ich mir meine aufrechte Gangart bewahrt. Es ist wohl die einzige anatomische Besonderheit, die mich noch von echten Schimpansen unterscheidet. Trotzdem beherrsche ich auch den Affengalopp recht ordentlich.
Anton verhält sich erstaunlich ruhig, obgleich ich ihn niemals so vertraulich angefaßt habe. Er weiß um seine Verletzung. Zwar bin ich nicht sein engster Verbündeter oder gar Freund, dennoch hat er jetzt Vertrauen zu mir. Das ist wichtig, ohne das wäre dieses Unternehmen von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Beim gleichmäßigen Gehen fällt mir ein altes amerikanisches Lied ein, einst ein Hit, das auf meine derzeitige Situation besser nicht passen könnte. …
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