Benjamin war kein religiöser Mensch. Zwar hatte er eine protestantische Erziehung erhalten, aber Glaube und Kirche spielten in seinem Leben längst keine Rolle mehr. Daher stand er dieser peinlichen Frage hilflos gegenüber. Noch immer hielt ihn die Faust gnadenlos gepackt, schüttelte ihn und zog ihn unaufhaltsam zum Abgrund hin, immer weiter. Ben wand sich hilfesuchend in alle Richtungen, aber da war niemand, der ihm hätte beistehen können.
„Das ist unfair“, kam es lautlos über seine Lippen, „in einer solchen Lage … nach meinem Glauben … zu fragen …“
Und weiter zog ihn die Kraft zur ewigen Finsternis hin.
„ Ja“, schrie er tonlos wie zuvor, „ich glaube, ich glaube ja ... ich glaube …“
Wie auf ein geheimes Zeichen öffnete sich die Faust endlich und ließ ihn frei, benommen taumelte er vom Abgrund weg, zurück in die Wirklichkeit, zurück in die scheinbare Geborgenheit des Krankenzimmers.
Benjamin schaute sich um, sah sich noch immer umringt von Leuten, die er nie zuvor gesehen und die ganz offenbar seinen soeben erfolgten Tod diskutierten. Schwach hob er den Arm, als Zeichen, daß er noch unter den Lebenden weilte, daß er noch nicht gestorben war, aber niemand reagierte auf ihn. Im nächsten Moment war der Spuk verschwunden, Ben wieder alleine im Zimmer, allein mit seinen fiebrigen Gedanken.
Jeder hätte in dieser Lage geschworen, er sei gläubig, jeder, dachte er und schämte sich ein wenig, kurz zuvor an diesem Abgrund einen Glauben eingestanden zu haben, den er in Wahrheit gar nicht überzeugend lebte.
Ein Empfinden ungeheurer Leichtigkeit signalisierte ihm, daß es soeben sehr knapp gewesen und er dem Sensenmann gerade noch einmal von der Schippe gesprungen war. Alsbald erlöste ihn ein abgrundtiefer, todesähnlicher Schlaf.
Kapitel VIII
Feinen, gelben Staub wirbelte das weiße Wohnmobil auf, das sich in Richtung Westen auf Houston zu bewegte, und es würde, sollte alles nach Plan verlaufen, irgendwann gegen Abend dort eintreffen. Vor Tagen schon hatte der Fahrer das feuchte Klima Floridas hinter sich gelassen, war häufig mitten in der Landschaft stehen geblieben, um die Natur zu beobachten, Flora und Fauna zu genießen. Er hatte Alabama durchquert, die Staatsgrenze zu Texas passiert und war guter Dinge. Locker hielten seine Finger das Lenkrad, es waren schlanke, geschmeidige Finger, und einen davon, den rechten Mittelfinger, zierte eine winzige Narbe. …
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