… Elena hatte am Gottesdienst für den Minotaurus teilgenommen. Danach war sie mit den anderen in die Gemächer der Priesterinnen gebracht worden, wo die jungen Frauen fürs Fest vorbereitet wurden. Elena war schmäler geworden, und die großen Augen in ihrem schmalen Gesicht sahen teilnahmslos die Freude und Aufregung der anderen jungen Mädchen mit an, während sie angekleidet, frisiert und geschmückt wurden. Sie war sich nun sicher, ihr Schicksal zu kennen. Die Bilder aus der Erzählung des Perikles hatten sie in ihren Träumen verfolgt und sie hatte inzwischen keine Zweifel mehr an der Wahrheit dessen, was der alte Mann Angelo berichtet hatte. Sie hatte die stumme Verzweiflung, die in ihrem Inneren wühlte, zurückgedrängt und verbarg sie vor den anderen. Elena wußte ja, daß ihr niemand helfen konnte. Die meisten würden ihre Zweifel nicht einmal verstehen, geschweige denn unterstützen. Die Zeit schien ihr wie Sand durch die Finger zu rinnen; die Sonne hatte bereits ihren höchsten Stand erreicht. Demnächst würde der Tanz den Beginn des Festes einleiten. Die Menschenmassen strömten bereits in das Stadion. Selbst auf den Hügeln und Bäumen vor der Mauer, eben überall, von wo aus man einen Blick auf das Spektakel werfen konnte, drängten sich die Menschen. Nun wurden die sieben Mädchen von den Priestern, die sie auch später in die Höhle des Gottes begleiten würden, zur Arena geführt. In durchscheinende kurze Gewänder gekleidet boten sie einen unwiderstehlichen Anblick mit den schlanken durchtrainierten Gliedern und den langen, im milden Wind wehenden Haaren. Eine wilde und doch melancholische Melodie, die von Panflöten gespielt wurde, war für diese Gelegenheit ausgewählt worden. Sie setzte ein, als die Opfer des Taurus die Mitte des Platzes erreicht hatten und der Tanz begann. Wie in Trance begann sich Elena zur Musik zu bewegen. In ihren wilden und doch graziösen Bewegungen und Gesten kam ihre ganze Verzweiflung zum Ausdruck und auch ihre heiße Sehnsucht nach Leben; nach einem Leben, daß nicht in der dunklen Höhle des Minotaurus enden mußte. Durch ihre Traurigkeit war ihr Tanz ausdrucksvoller und rührender als der der anderen Mädchen. Sie wirbelte zum Klang der Flöten durch den Sand der Arena, drehte sich dass ihre dunklen Strähnen flogen, sprang, alsob sie die einengenden Mauern hinter sich lassen und davon fliegen wollte. Die Musik endete und Elena sank in einer Flut schwarzer Haare erschöpft zu Boden. …

◄ zurück blättern Beurteilen Sie den Text bitte fair.
Ihre echte Einschätzung hilft dem Autor seine Texte zu verbessern.
386 Leser seit 1. Jan. 2025 für diesen Abschnitt
Noch kein Kommentar zu dieser Seite.
Sei der Erste!