… begann, merkte Elena, daß die Priesterin das von ihr gefürchtete Thema nicht zur Sprache gebracht haben konnte. Ihr Vater nahm nämlich ihre Hand in die seine und sprach wohlwollend, wenn auch traurig zu ihr: „Tochter! Die Zeit des Abschieds ist nun gekommen. Die Hohe-Priesterin hat mir mitgeteilt, daß schon in fünf Tagen beim großen Vollmondfest zu Ehren des Stiergottes, deine Zeit gekommen sein wird. Du wirst mit sechs der anderen Mädchen die Ehre haben, dem Zeremonienmeister in das Labyrinth zu folgen und eine Braut des Stiergottes zu werden. Die hohe Frau hat dich heute zu deiner Familie gebracht, damit wir uns ein letztes Mal allein sehen können. Solange ich jetzt mit dir rede, spricht sie mit deiner Mutter, um sie auf die Trennung vorzubereiten.“ Elena war aufgesprungen und sah entsetzt ihren Vater an. Dieser betrachtete stirnrunzelnd seine Tochter, die sich nicht wie erwartet benahm und anstatt Freude Angst zu zeigen schien. „So bald schon!“ der Gedanke hämmerte in Elena`s Kopf und für eine Sekunde blitzte die Idee in ihr auf, sich dem Vater zu Füßen zu werfenund ihn um Hilfe anzuflehen. Aber als sie in seine ungehalten dreinblickenden Augen sah, begrub sie ihre Hoffnung sofort. Er würde sie nicht verstehen. Im Gegenteil, er würde sich ihrer schämen und sie eher bestrafen, als ihr beizustehen. Für ihn war der Minotaurus ein Gott und seinem Kinde wurde eine hohe Ehre zuteil, wenn sie seine Dienerin werden durfte. Wie bei den meisten Religionen wußten auch hier die Verantwortlichen, in diesem Falle die Priester, wie sie zu verhindern hatten, daß die Gläubigen hinter die Kulissen schauten. Mit strengen Strafen für Zweifler und hohem Ansehen und Reichtum für Anhänger wußten sie die Integrität der Götter zu wahren und unbequeme Fragen im Keime zu ersticken. All diese Gedanken waren Elena im Bruchteil von Sekunden durch den Sinn gegangen und sie hatte erkannt, daß ihr nichts anderes übrig blieb, als sich demütig vor dem Vater zu verbeugen und sich in ihr Schicksal zu ergeben. Der Vater schien nun durch den Gehorsam der Tochter wieder beruhigt und führte sie, mit wieder wohlwollender Miene, ins Haus zurück, wo sie bereits von einer in Tränen aufgelösten Mutter erwartet wurden. Weinend schloß diese ihre Tochter in die Arme. Stiergott hin und Glaube her, diese Frau war eine Mutter sie fühlte instinktiv, daß sie ihr Kind dem Tod als Geschenk versprochen hatte. Sie weinte nicht, wie eine glückliche …
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