Sylvia konnte die Abscheu in Miras Augen lesen. Trotzdem konnte sie kaum fassen, was sie gerade gehört hatte. „Du lässt dich allen ernstes für zwei Jahre verkaufen?“–
Mira nickte betreten.–
„Und dafür wird dein Schuldpreis bezahlt?“–
„Hoffentlich. Das letzte Chance für meine Ehre ist. Sonst ich muss Dienst bei Gläubiger? Oder Gefängnis. Das nicht gut sein.“–
Zum ersten Mal war es Sylvia, als würde plötzlich Licht in das Dunkel fallen. Auch wenn ihr das, was in diesem Licht zu sehen war, ganz und gar nicht gefiel. Sie wollte nicht an irgendwen verkauft werden. Shit, nahm denn dieser Horror kein Ende mehr. –
„Du nicht möchten in Gefängnis, ich weiß es!“–
Doch Sylvia ignorierte Mira. Dazu hing sie jetzt viel zu sehr ihren eigenen Gedanken nach. Die Zahl auf ihrer Schiefertafel war nicht halb so hoch, wie auf Miras. Noch dazu konnte es sich diese Schlampe selbst zuschreiben, dass sie hier saß. Die hatte es verdient, im Gegensatz zu ihr! Wütend ballte Sylvia ihre Hände zu Fäusten. Wer weiß, für wie lange man sie hier versklaven wollte. Genau, jetzt war es endlich raus. Denn nichts anderes war das hier, oder? Hatte Mira nicht bedenken, dass sich keiner fand, der ihre Summe bezahlte? Was würde wohl in diesem Fall geschehen? Kam sie dann zu ihrem Gläubiger? Als Leibeigene, bis ihre Schuld beglichen war? Das geschah ihr recht. Sylvia konnte es noch immer nicht so recht fassen, in welchem Schlamassel sie hier steckte. Sie sollte nicht hier sein. Ganz und gar nicht.
Irgendwann war Mira aufgestanden und hatte ihre Nische verlassen. Verblüfft blickte Sylvia ihr nach. Konnte man hier einfach so herumspazieren? Mit plötzlichem Interesse stand sie auf und sah ihr nach. Niemand schien von Mira Notiz zu nehmen. Sylvia sah sich um. Auf einer schmalen, kaum zwei Zentimeter breiten Kante an der Unterseite Ihrer Schiefertafel lag noch immer das Stück Kreide, mit welchem heute Vormittag die Schriftzeichen geschrieben worden. Ihre Zeichen. Frustriert blickte sie auf ihren leicht angeschwollenen Oberarm. Am liebsten hätte sie die Tafel von der Wand gerissen. Sie sah erneut zu Miras Nische hinüber. In ihrem Inneren brodelte eine Wut, für die sie selbst kaum eine Erklärung fand. Sie hasste diese ganze Welt. Sie hasste diese penetrante Fremde mit ihrem besserwisserischen Gebrabbel. …
Ihre echte Einschätzung hilft dem Autor seine Texte zu verbessern.
9263 Leser seit 1. Jan. 2024 für diesen Abschnitt
Noch kein Kommentar zu dieser Seite.
Sei der Erste!