… tief in ihrem Inneren kannte sie die Antwort sowieso schon. Über Retenus Reaktion auf ihren Ausflug würde sie sich dann Gedanken machen, wenn es soweit war. Je weiter sie sich von der Hauptstraße entfernte, desto weniger war vom europäischen Einfluß zu spüren. Überall waren Marktstände aufgebaut. Mehrstöckige pastellfarbene Häuser mit flachen Dächern, auf denen zum Teil Gärten angelegt waren, umgaben sie. Das Viertel war durchzogen von schmalen Gäßchen und Sträßchen und man konnte hier in Hausgängen, an Ständen- oder einfach von auf der Straße sitzenden Gestalten alles Vorstellbare kaufen....vom Schmuckstück bis zur ausgewachsenen Milchziege. Fasziniert schlenderte Lena durch den Markt, ein wenig betäubt von den vielen Eindrücken und dem starken Geruch nach einheimischen Gewürzen. Als sie vor einem Schaufenster mit antikem Schmuck stehenblieb, fuhr ihr der Schreck in alle Glieder und mit einem leisen Schrei wirbelte sie herum. Die Scheibe hatte ein häßliches Gesicht mit haßerfüllten, fanatischen Augen wiedergespiegelt, Rasul! Doch als sich Lena umblickte, sah sie nur fremde Gesichter. Sie schüttelte den Kopf; wahrscheinlich hatte sie sich das in ihrer aufgewühlten Stimmung nur eingebildet. Immerhin war sie seit Wochen zum ersten Male wieder ganz auf sich selber gestellt und fühlte sich hier, in dieser fremländischen Welt, anstatt frei eher ziemlich deplaziert und hilflos. Trotzdem sie sich mit diesem Gedanken zu beruhigen versuchte, konnte sie ihren Ausflug nicht mehr so unbeschwert genießen wie vorher. Immer wieder fühlte sie sich beobachtet, sah sich wie gehetzt um. Jetzt bemerkte sie auch, daß viele der einheimischen Männer sie mit zum Teil verächtlichen, zum Teil begehrlichen Blicken musterten. Ihr helles Haar fiel auf; auch, daß sie ohne Begleitung unterwegs war. Beides war hier ungewöhnlich. Lena beschloß, sich auf den Heimweg zum Hotel zu machen, aber das war leichter gesagt, als getan. In den vielen verwirrenden Gäßchen und Gängchen, hatte sie sich hoffnungslos verlaufen. Auch mit den Auskünften, die sie sich von einigen der Händlern einholte, konnte sie nicht viel anfangen und so irrte sie einfach weiter, in der Hoffnung, irgendwann die Hauptstraße zu erreichen. Schließlich kam ihr der rettende Gedanke, einer der Droschken zu folgen, von denen sich die Touristen kutschieren ließen. So mußte sie doch irgendwann die Hotelpromenade wiederfinden. Es war auch gar kein großes Problem, dem Gefährt zu folgen, denn in dem bunten Gewimmel von Mensch und Tier kam die Droschke genauso langsam voran wie Lena auch. …
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