… Zu Hatschepsuts Zeiten waren der ganze Palast und die Wüste darum von Blumen und Pflanzen in perfekt angelegten Gärten umgeben gewesen und in dieser Nacht, im silbernen Licht des Mondes und dem verhüllenden Samt der Nacht, konnte man die Oede der Wüste rundherum vergessen, und sich in die damalige Pracht zurückversetzt fühlen. Wie verzaubert ging Lena neben Retenu her über die Rampe. Der Führer war mit den Pferden zurückgeblieben und es war für die junge Frau wie eine Reise in die Vergangenheit: sie war Hatschepsut, die mächtige Pharaonin und Retenu war Senmut, Hofarchitekt, Berater und heimlicher Geliebter der faszinierenden Königin. Retenu führte Lena durch alle begehbaren Räume des Tempel, was leider nicht sehr viele waren, da einiges hier von Archäologen erst wieder in einen stabilen Zustand gebracht werden mußte. Fasziniert betrachtete sie in der hellen Mondnacht die Zeichnungen und Hieroglyphen, die es hier in großer Menge zu bewundern gab. Die Zeit verging wie im Flug und Lena konnte es gar nicht fassen, dass ihr Traum schon endete, als Retenu ihr bedeutete, daß am Horizont schon der neue Tag heraufdämmerte. Langsam, als ob sie beide diese Nacht noch nicht beenden wollten, gingen sie nebeneinander die breite Rampe hinunter und wie von selbst stahl sich Lenas Hand in die von Retenu. Mit verschleiertem Blick sah sie zu dem rätselhaften Mann an ihrer Seite auf und wußte nicht, wie sie ihm für diesen märchenhaften Ausflug danken sollte. Hatte er ihre oft schroffen und unüberlegten Worte verziehen? Warum sonst hätte er sich wohl all die Mühe machen sollen nur um sie zu erfreuen? Es war Lena sowieso unerklärlich, mit welch geheimnisvollen Mitteln man überhaupt die Erlaubnis bekommen konnte, diesen einmaligen Tempel mitten in der Nacht, gänzlich ohne Touristenrummel, besuchen zu dürfen. Sie blickte sich noch einmal um und, ganz im Zauber dieses Augenblickes gefangen, waren für kurze Zeit Lenas sämtliche Zweifel vergessen und sie glaubte sich ihrer Gefühle zu Retenu ganz sicher zu sein. Spontan blieb sie stehen, drehte sich zu Retenu um, legte ihre Hände auf seine Schultern und hauchte ihm einen Kuß auf die Wange. Mit rätselhaftem Blick schauten seine nachtdunklen Augen auf sie herab. Seine Hände hoben sich, ruhten leicht auf ihrer Taille, er neigte seinen Kopf ein wenig und sein langes Haar wehte in einer leichten Brise. Fast schien es, als ob er sie küssen wollte. Er blieb jedoch nur ganz ruhig stehen und sah weiter intensiv in ihre Augen, als ob er irgendetwas in ihrer Tiefe suchen würde. …
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