… Lena blieb stehen und sah mit vor Entsetzen geweiteten Augen, daß Blut über Retenus Hand quoll. Anscheinend hatte er den vorausgegangenen Kampf nicht unbeschadet überstanden und die Verletzung verborgen, um Lena nicht zu erschrecken. Sofort legte sie stützend einen Arm um seine Taille und winkte wild dem Chauffeur zu, der zum Glück noch neben dem Wagen vor dem Eingang stand. Er trat ein, erfaßte mit einem Blick die Situation und eilte sofort wild gestikulierend auf den Empfangschef zu. Danach kam er Lena zur Hilfe und stützte den inzwischen immer schwächer werdenden Retenu von der anderen Seite. Sie hatten eben Retenus Hotelzimmer erreicht, das übrigens gar nicht weit von Lenas entfernt war, und ihn auf das Bett gleiten lassen, als auch schon ein hellhäutiger Arzt mit einer dunklen Schwester in seinem Schlepptau hereinstürmte. Anscheinend hatte der Empfangschef schnell und umsichtig gehandelt. Mit Gesten, wie ein Bauer beim Hühnerscheuchen, jagte der Doktor Lena vor die Türe und schloß sie energisch vor ihrer Nase. Erst langsam sickerte die ganze Bedeutung des Geschehens in Lenas Sinn. Ihre Beine waren plötzlich wie Gummi, sie glitt an der Wand herunter und blieb in der Hocke mit in den Händen vergrabenem Gesicht sitzen. Ihre Gedanken überschlugen sich. Die ganze Sache war ihre Schuld! Durch ihren Trotz und ihren Leichtsinn hatte sie Retenu immer wieder in unmögliche Situationen gebracht, ja, ihn sogar fast getötet. Heiße Tränen quollen zwischen ihren Fingern hindurch und tropften auf das verschmutzte schwarze Kleid. Sie wußte nicht, wie lange sie so gekauert hatte, als sich die Türe endlich wieder öffnete. Zögernd erhob sich Lena, wischte sich die Tränen ab und schaute fragend in die gütigen Augen des Arztes. Er machte einen beruhigende Geste und sprach dann in langsamem Arabisch auf sie ein. Lena verstand, daß Retenu viel Blut verloren hatte und viel Ruhe brauchte, aber außer Gefahr war. Dankbar ergriff sie die Hand des Doktors doch dieser entzog sie ihr verlegen und verließ mit einem Lächeln und seiner Schwester im Gefolge das Hotel. Der Chauffeur saß an einem kleinen Tisch in der Ecke des Zimmers und sein dunkles Gesicht wirkte ebenso erleichtert, wie das von Lena. Er schob einen der Stühle neben das breite Hotelbett und bedeutete Lena, sich zu setzen. Dankend nickte sie ihm zu und sank schwer auf die Sitzgelegenheit. Sie blickte auf das Gesicht hinab, daß sie inzwischen nicht mehr missen wollte. …
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