… Danach setzte sie sich lesend an den kleinen Tisch und wartete auf das Frühstück. Fritz brachte es immer um die gleiche Zeit. Vor Fluchtversuchen mußte Fritz ja hier auf dem Schiff keine Angst haben, so ließ er die Türe offenstehen, während er Lena das Tablett auf den Tisch stellte. Durch diese offenstehende Tür hatte sie schon beim ersten Frühstück feststellen können, daß sie nicht der einzige unfreiwillige Passagier auf diesem Schiff war. Sie konnte nämlich ein gutes Stück des dahinterliegenden Flurs überblicken und zumindest zwei weitere Türen mit Riegel und vergittertem Fenster erkennen. Es dauerte auch nicht lange, bis Lena wußte, daß es insgesamt zehn solcher Türen gab und daß sich hinter jeder von ihnen ein ähnliches Schicksal wie ihres verbarg. Dies bekam sie zu sehen, als irgendwann zwischen Frühstück und Abendessen (mehr gab es nicht, vielleicht aus Rücksicht auf die schlanke Linie, die sich wahrscheinlich doch besser verkauft) der Affenähnliche auftauchte und Lena durch den langen Gang, über eine steile Treppe und dann auf das Deck führte. Dort durfte sie sich eine halbe Stunde aufhalten, jedoch nur unter der strengen Aufsicht von Mario, dem affenartigen. Ihr war klar, daß dies nicht aus Menschenfreundlichkeit geschah, sondern nur, weil sie ohne frische Luft und ein wenig Bewegung bald sehr blaß und kränklich ausgesehen hätte, was ihrem Verkaufspreis sicherlich nicht zuträglich gewesen wäre. Mario schirmte sie ziemlich von allem ab, so daß sie kaum einmal einen Matrosen aus der Nähe zu sehen bekam. Lena war sich aber nicht sicher, ob es aus dem Grunde geschah, daß diese Matrosen nicht über die illegalen Geschäfte auf diesem Schiff informiert waren, oder nur um sie nicht in unnütze Versuchung zu führen. Das Schiff war, wie sie vermutet hatte, ein Frachtschiff. Das Deck war riesig aber, wie schon erwähnt, bekam sie wenig davon zu sehen. Es gab da ein Steuerhaus und es waren auch große Kisten hier oben vertäut. Das meiste der Ladung und auch die Kajüten und die Kombüse befanden sich aber unter Deck. Wenn Mario sie – nach Ablauf ihrer halben Stunde – wieder dorthin zurück brachte, riskierte sie immer einen Blick aus ihrem kleinen Gitterfenster und sah, wie er ein anderes Mädchen aus der nächsten Kabine führte. In zermürbendem Einerlei gingen so die Tage an Lena vorüber und sie wurde immer schwermütiger.
*
…
◄ zurück blättern Beurteilen Sie den Text bitte fair.
Ihre echte Einschätzung hilft dem Autor seine Texte zu verbessern.
599 Leser seit 1. Jan. 2025 für diesen Abschnitt
Noch kein Kommentar zu dieser Seite.
Sei der Erste!