Der Donnerstag gehört, wie ich es meiner kleinen Schwester versprochen habe, nur uns beiden. Erst am Abend ist mein Bruder wieder halbwegs unter den Lebenden. Die Bauchtanzdame und seine Freunde haben Spuren hinterlassen. Verkatert, leichenblass und wie ein Häufchen Elend hängt er herum. Ich empfehle ihm ein Entspannungsbad mit ätherischen Ölen. Als er wie neu geboren und angenehm duftend aus der Wanne kommt, bürsten wir seine Augenbrauen und cremen sein Gesicht. Die Nägel hat er sich selber geschnitten und gefeilt, nur geglänzt haben sie nicht. Mama ist damit beschäftigt, ihr blondes Haar zu locken und Papa guckt die Tagesschau. Mein Bruder hält still, als wir ihm die Zehennägel leuchtend rot lackieren. Auch die neue Seidensocke haben wir zerschnitten und gestopft. Sie soll ihm Glück bringen, denn mein kleiner Bruder hat mit rot lackierten Zehennägeln und mit der stümperhaft gestopften Seidensocke geheiratet und es hat ihm Glück gebracht. Unser vorhochzeitliches Geschenk liegt in Glanzpapier verpackt, mit einer Riesenschleife, auf dem Tischchen neben seinem Bett. Lange haben wir in alten Kartons gekramt, um nach dem kleinen Büchlein aus seiner Jungendzeit mit dem Titel “Wo kommen die kleinen Jungen und Mädchen her“ zu suchen. Wir sind fündig geworden und es ist wie neu. Nächtelang hat er mit der Taschenlampe unter der Bettdecke darin gelesen und jetzt musste er uns versprechen, dass er das Päckchen nicht vor der Hochzeit öffnet.
Morgen ist die Hochzeit und Pieti kommt erst in elf Tagen. Auch Manfred wird zur Hochzeit kommen und wir haben versprochen, nichts über unsere Trennung zu sagen. Um die neu angeheiratete Familie nicht zu erschrecken, werden wir unseren Auftritt noch einmal als Mann und Frau haben und gemeinsam an einem Tisch sitzen.
Es war wie ein Theaterstück, das vor dem Ende ausgebuht wird. Wir wussten nicht, dass Tina es längst allen Verwandten erzählt hatte. Nach drei Stunden Schlaf bollerte Mama an meine Tür. Meine alte Tante hat sie so verrückt gemacht und ihr eingeredet, dass es zwischen uns, so wie wir uns ansehen würden, noch lange nicht vorbei wäre. Ich hätte so gerne noch etwas geschlafen. Mama schloss beruhigt wieder die Tür, weil sie außer dem großen Kissen und der Zudecke nichts bei mir gesehen hat, was sie zu ihrem spitzen Mündchen veranlassen konnte. Als ich zum Frühstück …
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