Elsa lacht beim Umblättern. „Sieh Dir an, was man hier aus mir gemacht hat.“ Elsas Zöpfe waren ab. Gestutzt und kurz geschnitten ist ihr Haar, sie hatte es selbst so gewollt, denn ein Pagenkopf war damals ihr größter Wunsch. Niemand hatte ihr gesagt, dass sie es lassen sollte und kurze Haare sie bestimmt nicht schöner machen würden. Wie lange hatte sie gebettelt, bis ihr Papa endlich die Zweimarksiebzig für diese Verwandlung gab. Nass gekämmt wurde sie unter die Trockenhaube gesetzt und genau so aalglatt sah sie danach aus. So wie die schöne Frau auf dem Film-Plakat beim Frisör, im Charlestonkleid und mit modernem Bubikopf, wollte sie aussehen, aber Elsa sah ihrem Schönheitsidol nicht annähernd ähnlich. Lag es vielleicht daran, dass die Plakatschönheit ein glitzerndes Stirnband trug und eine lange, schwarzglänzende Zigarettenspitze zwischen ihren Fingern hielt? Schwarze Seidenstrümpfe und elegante Spangenschuhe mit hohen Absätzen gaben ihr ein frivoles Aussehen, aber Elsa sah jetzt eher aus wie ein gerupftes Huhn.
Ich blätterte in ihren Tagebüchern. Für jedes Jahr ein neues Heft. Fehlten einige Seiten und Hefte oder hatte Elsa nicht immer geschrieben? Sie will nicht antworten, viel zu sehr ist sie mit den Fotos beschäftigt.
Nieselregen und Wind kommen auf, es wird ungemütlich. „Elsa, komm, lass uns reingehen, mir ist kalt.“ Das Fotoalbum nimmt sie mit, an den über Jahre geschriebenen Heften ist sie nicht interessiert. Ich stelle den großen Karton auf das Tischchen in der windgeschützten Ecke, um ihn später hereinzuholen. Elsa und ich reden uns in den langen Abend hinein. Es ist für sie zu spät, um nach Hause zu fahren und weil heute sowieso niemand auf sie wartet, schlage ich ihr vor, bei mir zu übernachten. Im Badezimmer steht, was Elsa vor dem Schlafengehen benötigt und so nimmt sie meine Einladung gerne an.
Mit der aufgehenden Sonne singen die Vögel ihr Lied. Gezwitscher in allen Bäumen, die herrliche Morgendämmerung wäre zu schade, um sie zu verschlafen. Um Elsa nicht zu wecken, stehe ich auf und vermeide Geräusche. Mit heißem Kaffee, der Zeitung von heute und einer Zigarette starte ich in den Tag. Inzwischen habe ich das Radio angestellt, es wird Elsa in ihrem Schlaf nicht stören. Die Post ist gekommen, wiederholt klingelt das Telefon, und die Kirchenglocken läuten zur Mittagszeit. Von Elsa höre ich nichts. …
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