Es ist Frühling geworden und wir warten sehnsüchtig auf den Sommer. Zur Zeit der Kirsch- und Apfelblüten hat mein Bruder Geburtstag. Schade, dass ich zu meinem Geburtstag nie andere Kinder einladen darf. Immer kommen nur Oma und die Tante, und die ist nur fünf Jahre älter als ich, dann kommen natürlich noch Mamas und Papas Freunde. Nachmittags gibt es immer Sahnetorte und wenn wir im Bett sind, feiern die Erwachsenen mit rotem Heringssalat und Bommi mit Pflaume weiter. Mein Bruder hat immer einen Geburtstag mit vielen Kindern und genau so viel Kloppe und Tränen. Ich weiß nicht mehr, ob es bei seinem letzten Geburtstag war, jedenfalls mussten wir mit ihm Indianer spielen und zum Schluss hat er uns alle tot geschossen. Wir haben uns bewegungslos unter die blühenden Apfelbäume gelegt und er ging dann einfach weg und meinte, wir wären zu blöde, weil wir gelacht haben. Mit uns wollte er nicht mehr spielen. Aber die Geschenke, die hat er natürlich alle mitgenommen. Nie muss er für sein dämliches Benehmen in den Keller und wird auch nachmittags nicht ins Bett gesteckt. Aber dieser Geburtstag hatte doch Folgen: Einem Nachbarjungen hatte er auch noch zur Krönung die Brille vom Kopf geschlagen und sein Vater war am nächsten Tag gekommen, um Ersatz für das teure Stück und eine Entschuldigung von meinem Bruder einzufordern. Ersatz vielleicht, aber eine Entschuldigung gab es nicht. Papa sagte, dass er ja gar nicht eingeladen war und aus diesem Grunde in unserem Garten nichts zu suchen hatte. Beide Väter redeten sich in Rage, jeder von ihnen glaubte, dass er einen größeren Betrieb hatte und außerdem waren sie auch noch in unterschiedlichen Schützenvereinen. Den beiden Müttern gelang es dann, Frieden zwischen den Streithähnen zu stiften und trotz intensiver feindlicher Beschimpfungen wurde die Angelegenheit dann doch noch einvernehmlich geregelt.
Mein Bruder ist doof. Das habe ich auf viele Zettelchen geschrieben. Ich habe einen Schreibtisch, das heißt einen Sekretär mit vielen kleinen Schubladen, in denen ich diese Zettelchen verstecke, bekommen. Die Schreibtischplatte kann ich hochklappen und mit einem Schlüssel verschließen. Er ist wirklich doof, er ist jetzt im letzten Kindergartenjahr und hat mit seiner Gruppe eine Vorführung eingeübt. „Schneewittchen und die sieben Zwerge“. Er ist einer der Zwerge und macht sich schrecklich wichtig mit seiner Verkleidung und dem mächtigen Bart. …
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