Es ist Mitte November und ich habe keine Zeit mehr, ins Hallenbad zu gehen, weil ich das Gedicht für die Weihnachtsfeier im Schützensaal üben muss. Mein Schwimmfreund beneidet mich. So etwas würde er auch gern einmal machen und so gab er mir hilfreiche Ratschläge für die richtige Betonung. Er findet mich, glaube ich zumindest, auch ganz toll und meint, ich soll unbedingt mit Haarschleife auftreten.
Am Samstag hat er mir in der Schule ein Briefchen zugesteckt. Ein Zettelchen mit einem großen Herzen, durchbohrt von einem Pfeil. In Schönschrift die Worte „Mein Herz blutet, liebst Du mich am Montag auch noch? Dein Horst“. Horst meint, mein Auftritt wird sicher ganz toll und es wird hinterher bestimmt etwas darüber in der Zeitung stehen. Na ja, ich habe ihm ja auch genug davon erzählt und ganz schön angegeben.
Nach dem schrecklichen Drama wegen des Gedichtes freue ich mich auf Montagmorgen und auf Horst. Ohne seine Liebe fühle ich mich verloren. Mittwoch gehen wir wieder zusammen ins Hallenbad und danach unsere drei leckeren verbrannten Würstchen essen.
Zu Hause ist immer noch dicke Luft. Mama spricht wenig mit mir. Wenn ich etwas besorgen soll, gibt sie mir einen Einkaufszettel und das abgezählte Geld. Nur noch wenige Tage bis Weihnachten, und weil Weihnachten das Fest der Liebe und Versöhnung ist, so sagt sie, hat sie mir jetzt die weggenommene Puppe Monika zurückgegeben. Ich konnte nicht verhindern, dass damit aufgeflogen ist, woran ich selber nicht mehr gedacht hatte. Sie hielt das Oberbett von meinem Puppenwagen in der Hand und entdeckte die gesammelten Schulbrote. Schimpftiraden rasselten auf mich ein. Undankbar und liederlich wäre ich, sie wüsste gar nicht, weshalb der liebe Gott sie mit einer Tochter wie mir bestraft hat. Monika hat sie in die Ecke geschmissen und dann Papa gerufen. Meine kleine Schwester und mein Bruder haben sich zu Annegret in die Küche verzogen. Fast hüpfte ich die Treppen bis zum Keller hinunter. …
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