Wir leben in der Stadt und sind umgeben von saftigen Wiesen und weidenden Kühen. Gegenüber von Omas Haus liegen noch immer die Trümmer der Landes-Frauenklinik. Weil es gefährlich ist, dort zu spielen, ist es auch absolut verboten, aber das ist vielleicht gerade der besondere Reiz, weshalb wir dort so gerne hingehen. In einem Kellerraum des riesigen Trümmerhauses haben wir uns eine Bude eingerichtet, es ist herrlich.
Die Sommerferien haben begonnen und heute Morgen kamen ganz früh die Bagger und haben unsere gemütliche Bude einfach plattgemacht. Die noch stehenden Mauern der alten Ruine fielen zusammen wie ein Kartenhaus und wurden mit großen Schaufelbaggern auf unzählige Lastkraftwagen verladen. Auf dem Gelände sollen jetzt Wohnblocks errichtet werden.
Nur wenige Fußminuten entfernt, auf dem Weg in die Stadt, liegt die große Gummifabrik. Auch hier wird gebaut und vergrößert, denn noch mehr Autoreifen sollen hier produziert werden. Die Wohnblocks sollen für die neu eingestellten Arbeiter mit ihren Familien gebaut werden. Hinter vorgehaltener Hand raunen die Erwachsenen, dass hier die Reifenflicker einziehen sollen. Leute, von denen man nicht weiß, woher sie kommen und so ist jetzt schon eine Grenze gezogen, bevor sie überhaupt hier sind. Dass die Wohnblocks schön werden, die Grünanlagen herrlich bepflanzt und auch ein Kinderspielplatz bei der Planung berücksichtigt wird, kann die Vorurteile der Leute nicht mildern. Wir müssen jetzt außen herum zur Schule gehen, obwohl der Weg durch das neue Wohngebiet viel kürzer ist.
Die Zeit rast dahin und nach wenigen Monaten sind jetzt alle Blocks bewohnt. Die Klassenaufteilung in der Schule hält sich an die alten Straßenaufteilungen. Die neuen Kinder in eine Klasse und die Kinder aus den alten Straßen in eine andere. Es ist unmöglich, Kontakt zu finden. In den alten Straßen wohnen Beamte, Akademiker, Selbstständige und Ruheständler, eine gute Mittelklasse.
Omas Mieter kenne ich alle. Zu den Frauen sage ich Tante und manchmal zu den Männern Onkel. Omas nettester Mieter ist der Pferdeschlachter. Er ist schwarzhaarig, wunderschön und ich scheue mich irgendwie, Onkel zu ihm …
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