Weihnachten ist trotzdem nicht ausgefallen. Heilig Abend sagte ich wieder ein Gedicht auf. Mein Weihnachtsgeschenk war schrecklich: Eine Gitarre. Meine Tante hat ein Klavier bekommen. Ich bot ihr meinen ganzen bunten Weihnachtsteller mit Marzipan, Schokolade und Nüssen und zusätzlich die Gitarre, aber sie wollte ihr Klavier leider nicht tauschen und lachte mich aus.
Die Gitarre allein war schon schlimm genug, jetzt muss ich zwei Mal in der Woche auch noch zum Unterricht. Quer durch die ganze Stadt mit der Gitarre, es ist mir schrecklich peinlich.
Der Musiklehrer ist ein seltsamer Mensch. Er wohnt am Lister Platz, mitten zwischen den großen ausgebombten Häusern. Das Häuschen ist winzig klein, hat einen ganz schmalen Eingang und nur wenige Zimmer. Er trägt Lackschuhe mit hohen Absätzen und eine schwarz-weiß gestreifte Hose, darüber einen Kittel. Durch eine Kriegsverletzung ist er auf einem Auge blind, er hat schon Papa das Akkordeonspielen beigebracht. Als Professor unterrichtet er an der Musikhochschule und hat nur ausgesuchte Schüler. Er sagt, dass er mich unterrichtet, hätte ich Papa zu verdanken, er wäre sehr talentiert und deshalb glaubt er, dass es vielleicht auch mit mir einen Versuch wert ist. Ich hatte keine Notenkenntnisse und als ich mit meiner Gitarre bei ihm ankam, lutschte er Bitterschokolade und begutachtete mein Instrument. Er meinte, meine Gitarre wäre billig und der Boden hätte keine Resonanz aber für den Anfang würde sie ausreichen. Er machte mich mit den Noten vertraut und erklärte mir die Saiten, Dann gab er gab mir einen Zettel, auf den er die erforderlichen Notenbücher für den Anfangsunterricht aufgeschrieben hat. Mehr war am ersten Tag nicht passiert. Mama und Papa waren enttäuscht, ich glaube, sie haben damit gerechnet, dass ich schon nach der ersten Unterrichtsstunde Gitarre spielend nach Hause gekommen wäre. Bis zum nächsten Mittwoch müssen die Notenbücher besorgt sein und Mama ist genervt.
Am Mittwoch rannte ich wieder quer durch die Stadt zu diesem blöden Musikheini. Außer meiner Gitarre habe ich jetzt auch noch die Noten-Bücher zu schleppen. Er ließ mich die Tonleiter üben obwohl ich glaube, dass meine Finger zu kurz und meine Hände zu klein sind. Er sah, dass es mir schwergefallen ist und schenkte mir zu Abschied ein Stück seiner Bitterschokolade. Seitenweise übe ich mich …
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