Vor meinem Schulabschluss habe ich mir die Tanzschule erbettelt. Mama und Papa waren strikt dagegen, weil sie der Auffassung sind, dass Tanzen für mich noch nichts ist und damit nur einem Lotterleben Vorschub geleistet wird. Dazu auch noch mitten in der Woche, wenn normale Menschen arbeiten, und mit Milchbubis mit feuchten Händen, die noch Eierschalen hinter den Ohren haben und die über ihre eigenen Füße stolpern, brauchte ich mich nicht abzugeben. Irgendwie hat es aber jetzt doch mit der Tanzstunde geklappt. Der milchigste aller Bubis hat sich von Anfang an auf mich gestürzt und traut sich bei seinem pubertierenden Gehabe weder die Augen zu heben, noch den Mund aufzumachen.
Der Mittelball steht jetzt bevor und meine lieben Eltern haben wieder einmal etwas anderes vor. Mama hat gerade die Zeit gefunden, mit mir in die Stadt zu fahren, um das Kleid auszusuchen. Sie hat mich zu einem Frack aus schwarzem Samt bis knapp über den Brustansatz verdonnert, von hier aus lässt durchsichtiger Seidentüll bis zum Hals mein Dekolletee erahnen. Mit einem hohen Gehschlitz und hauteng, ist es für eine Frau von dreißig sicher chic, aber ich hatte mir schon etwas anderes vorgestellt. Mittlerweile ist es mir auch gleich, dass ich allein zum Ball muss, denn das Kleid hat mir schon fast die ganze Freude versaut. Hätte ich mir ja auch gleich denken können, denn zu anderen Ereignissen kommen Mama und Papa ja auch nicht mit.
Mein Tanzstundenherr hat sich ganz schnell wieder verflüchtigt, denn ich habe ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er mir gegenüber eine gewisse Distanz einzuhalten hat. Es gibt aber jemanden, der mich wirklich interessiert. Er ist größer und ein Jahr älter als die anderen und der Schwarm aller Mädchen. Ich weiß genau, dass ich die bin, die er will. Ihn irritiert mein Selbstbewusstsein, denn ohne angeben zu wollen, bin ich es gewohnt, angehimmelt zu werden. Vielleicht bin ich wirklich anders, als die anderen Mädchen. Er versucht jedenfalls krampfhaft bei mir Eindruck zu schinden. Auf dem Nachhauseweg trägt er meine Schultasche und hält mir sogar die Türen auf. Neulich nahm er in der großen Pause seinen ganzen Mut zusammen und hat mich nach dem Unterricht zum Eisessen eingeladen. Dass er eine ganze Schulstunde auf mich warten musste, habe ich mit keinem Wort gewürdigt. Auch am nächsten und an vielen anderen Tagen hat er nach Schulschluss auf mich gewartet, …
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