… Sie trat auf die purpurne Wand zu und streckte zögernd ihre Hand aus. Ihre Finger berührten rauen Stoff. Sam ging nach links und ertastete das Ende der Stoffwand. Sie schob das purpurne Material zur Seite. Lautlos glitt es auf einer in die Decke eingelassenen Schiene bei Seite und gab den Blick auf die dahinterliegende Wand und die verborgene Tür frei. Schnell zog Sam den Stoff in seine Ausgangsposition zurück. Summersbys Empfangsort musste verlegt werden. Zuerst trug Sam den Infusionsständer und die Ledermappe in den Raum mit der Wanne zurück. Dann begann sie, die dünnen Glaselemente, hinter denen Summersbys Opfer standen, aufzuschieben. Die Mädchen und Jungen standen auf ovalen Metallplatten, in ihren Rücken verschwanden jeweils dünne Stahlstreben, die auf den Metallplatten festgeschweißt waren und den Körpern zusätzlichen Halt boten. Unsicher streckte Sam ihre Finger nach der ersten Figur aus. Das Mädchen trug ein sonnengelbes Sommerkleid, Sam grauste es bei der Vorstellung, mit der toten Haut in Berührung zu kommen. Sie wischte ihre feuchten Handflächen an den Seiten ihrer Jeans ab. Ihr Blick glitt an dem Spalier der aufgereihten Kinder vorbei. Erleichtert sah sie, dass nur wenige kurzärmelige Kleidung trugen. Sam betrachtete nervös das unbekannte Mädchen. Kein Kind ihrer Auftraggeber. Mit aller Gewalt versuchte Sam, ihren aufsteigenden Ekel zurück zu drängen und durch Mitleid zu ersetzen – vergeblich. Wenn sie noch länger hier unschlüssig rumstand, verlor sie wertvolle Zeit. Vorsichtig legte Sam ihre Hände auf die Schulter des Mädchens, sorgsam darauf bedacht, nicht mit der Haut in Berührung zu kommen. Sie drückte behutsam gegen den Körper. Die linke Seite der Metallplatte hob sich. Gut, das Ding war nicht verankert. Durch die Stahlstrebe konnte Sam das Mädchen nicht von hinten packen. Sie musste vor sie treten. Wie einem inneren Zwang folgend, sah Sam dem Mädchen ins Gesicht. Aus Summersby hätte auch ein erstklassiger Visagist werden können. Geschickt hatte er mit Makeup dem toten Gesicht Leben eingehaucht. Er hatte einen rosigen Schimmer auf den Wangen verteilt. Die Lippen glänzten in einem fast natürlichen Rosaton. Die Haut wirkte weder künstlich noch bemalt. Gleichmäßig war der Farbton, der sich über Gesicht, Hals und Arme zog. Sam vergaß fast, welche Abscheulichkeiten Summersby an den toten Kindern vornehmen musste, bis sie soweit waren, dass er sie bemalen konnte. Jeder Leichenbestatter hätte Summersby um sein Talent beneidet. …

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