Aber einmal hat er uns ganz schön rangekriegt. Meine Schwester spielt Klavier, ich, wie erwähnt, Cello. Entweder hatten sich die Lehrer leicht unzufrieden geäußert oder Vater waren die Kosten für unsere musikalische Ausbildung aufgestoßen, oder, was ich wahrscheinlicher finde, er hat in der Zeitung von einem jungen, gerade zum Star erwachenden Talent gelesen was seinen Neid hervorrief, jedenfalls mussten wir einen ganzen Samstagnachmittag im zehnminütigen Wechsel üben. Das ist bitter denn man kann seine Freizeit mit viel spannenderen Dingen füllen als blöden Etüden. Wir fügten uns klaglos und eigentlich fand ich das Üben auch gar nicht mehr schlimm denn Musik macht mir ja Spaß.
Vater ist der Held meiner Kindertage. An seiner Hand begleite ich ihn überall hin. Ich danke es ihm mit perfektem Benehmen schon in jüngsten Kinderjahren. Treffen wir seinen Chef im Büro, so halte ich mich zurück und spreche nur wenn ich gefragt werde. Bei Freunden kann ich spontaner reagieren, aber immer schön höflich bleiben, kleine, lustige Bemerkungen sind in Maßen erlaubt. Jeder findet es total normal dass ich zum Beispiel an Wochenenden immer mit dabei bin und Vater heimst sichtlich erfreut Komplimente für seine wohl geratene Tochter ein.
Ich bin sein Sonnenschein, seine Hoffnung, sein Musterkind. Meine Schwester eignet sich nicht dafür da sie viel zu schüchtern ist und sich gleich hinter seinen Beinen versteckt und schnell weint. Sie hätte sicher denselben Erfolg wenn sie sich traute denn wir tragen beide dieselbe vererbte Wohlerzogenheit in uns.
Vater erklärt mir die Welt: warum Kopfsteinpflaster so heißt wie es heißt, warum es Tag und Nacht gibt, wie ein Geldinstitut, eine Bank, und der Kreislauf des Geldes funktioniert und was man mit Geld alles anstellen kann, warum Schafe Wolle haben, sie geschoren werden und was daraus gemacht wird, was Anachronismus bedeutet… Es gibt keine Frage auf die er keine Antwort hat. Ich bete ihn an und es ist ein Paradies mit ihm bis ich meine Antworten selber suchen will, eigene Vorstellungen entwickle und mich, bedingt durch Schule und Freunde, emanzipiere. Unsere Gespräche …
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