… Sam brach es auf und verschaffte sich mit zwei kräftigen Tritten Einlass. Stickige, abgestandene Luft schlug ihr entgegen. Sam betätigte den Lichtschalter – nichts. Wahrscheinlich hatten die ermittelnden Beamten alle Sicherungen ausgestellt. Da sie sich gut auskannte, fand sie sich im fahlen Mondlicht zurecht. Zuerst betrat sie die Küche. Auf dem kleinen Küchentisch hoben sich die mit hellem Klebeband gezogenen Umrisse von Dicks Oberkörper und Armen ab. Die Axt fehlte. Sie lag sicher als Beweismittel Nr. 1 in der Asservatenkammer einer Polizeistation. Sam ging in den Wohnraum. Für einen kurzen Moment dachte sie, der Widdermann würde auf der Couch hocken. Sie zog scharf die Luft ein und stieß sie erleichtert wieder aus. Bei der Durchsuchung hatten die Beamten einige Kissen auf der Couch verschoben. Die hochstehenden Ecken und Sams angespannte Nerven hatten ihr einen Streich gespielt. Zögernd ging Sam auf die Besenkammer zu. Wie beiläufig sah sie die dunklen Spuren des Graphitstaubs, die sich über den Holzrahmen der Tür zogen. Sam öffnete die Tür. Kein Fenster erhellte den Raum. Er lag in undurchdringbarer Dunkelheit. So sehr Sam ihre Augen auch anstrengte, sie konnte nicht erkennen, ob das Foto noch an seinem Platz stand. Wahrscheinlich eher nicht. Sicher war es auch als Beweismittel katalogisiert worden. Doch die bloße Vermutung reichte ihr nicht. Sie brauchte Gewissheit. Mit ihren Händen tastete Sam durch die Dunkelheit. Mit ausgestreckten Armen konnte sie gerade die Kante des Brettes ertasten. Es blieb ihr nichts anderes übrig, sie musste die Besenkammer betreten. Als Sam von der Düsternis des engen Raumes verschluckt wurde, rechnete sie jeden Moment damit, dass ihre Finger das dichte Haar des abgehackten Kopfes ertasten würden. Ihr Atem ging rasselnd und ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sams Hände tasteten das Brett ab, kein Kopf, kein Foto, keine Teelichter. Mit einem lauten Knall fiel die Tür hinter ihr zu. Gleichzeitig wurde sie von hinten gepackt. Sams Gedanken rasten. Dick? Summersby? Danielles Vater? Sam konnte kaum atmen, so fest umklammerte sie der eiserne Griff kräftiger Arme. Sie konnte die raue Stimme kaum durch ihren eigenen, keuchenden Atem hören. „Wenn du diese Sache beendet hast, müssen wir reden.“ Sam starrte in die Dunkelheit – der Widdermann. „In seinem eisigen Gefängnis wartet unser Sohn darauf, von dir ausgetragen zu werden.“ Der Druck ließ so plötzlich nach, wie er gekommen war. …

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